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Anna Julian Mendlik: Porträt der Künstlerin als Monster und andere Gedichte

Anna Julian Mendlik hat diesen Text beim Salón Berlinés am 14.07.2025 gemeinsam mit Rodolfo Häsler vorgetragen.


Die Übersetzung wurde freundlicherweise ermöglicht von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ist im Rahmen einer Kooperation von Salón Berlinés und alba.lateinamerika lesen e.V. entstanden.


Moderation: Ingeborg Robles und José Luis Pizzi

Montags 19 Uhr, Crellestr. 26, 10827 Berlin




PORTRÄT DER KÜNSTLERIN ALS MONSTER


nicht schuppen hab ich und auch keine flammenhaut

kein stinkendes gebiss und keine fließenden abszesse

ich hab kein haar aus schlangen, keine kralle

die sich in die ohren einer talkshowrunde bohrt

mich sah noch niemand

mit verbranntem rücken und auch nicht mit hula hoop

kein gift hängt mir am hüftgurt, keine hundebeine

wenn ich nachts zum spätkauf geh

wüsst ich alle wünsche schon im voraus

wär ich mutter, so wie alle, algorithmus

meine dna gewächshaus. werf ich steine ins getreibe

nähern sich blaue sirenen, nicht, um licht zu heulen

oder autoraser anzulocken. sie nehmen mich mit

an den baggersee und bringen mir ihren gesang bei:

finde uns, auch in unterirdischen schächten

ich brauche keine schlangenhaut und auch keine zangen

keinen fischschwanz oder schwarze klauen

mir reicht ein wort von dir, ein augenschlag

wenn du mich anblickst und ein monster siehst

erstarre




LESBISCHE GEDICHTE


wie lesbisch sind deine gedichte, fragte jemand

weiß ich nicht, dachte ich, was sie so tun

wenn ich nicht hinseh

es hilft nicht, sie zu beobachten

denn gedichte sind sehr scheu

eigentlich genau wie kobolde

nur räumen sie nicht auf

denn gedichte sind total chaotisch

und geschenke hinterlassen sie auch nicht im schuh

denn wovon sollten sie die kaufen

vielleicht lieben meine gedichte wörter mit o

sehen dabei oktopusse wie durch unterwasserfenster

oder brüste in push-up-bhs, mit geplätteten nippeln

würden meine gedichte sich selbst schreiben

schrieben sie bestimmt am liebsten onomatopoesie

liebten totoro und wären oft in tokyo

hörten yoko ono endlos

glotzten dokus über bonobos

zitierten lorca und golob in sportstudios

tauchten ihre fäuste in den orinoco flow

und sängen an den ufern vom bosporus

küssten sich ganz pomo auf die nackten

pomodoro roten popos

bis auch noch der letzte homo sapiens

den glauben an die unschuld der poesie

verloren hätte



DRASTISCHE MAßNAHMEN

 

in die einsamkeit gehen, so into the wild und alle vier wochen

blut aus dem muskelleib, hohlorgan voll schleim

leben als eremitin mit eigener höhle könnte ich

mich in die stille gottes versenken. moos

zwischen den beinen und hirschläuse im haar

würde in der wüste heuschrecken streifen

in klaren flüssen die lachse, sollten sie laichen

bin drei wochen lang höchstens agnostisch wie thomas

und beim ersten tropfen aus der form der fünften wunde

sicher, dies ist die regelmäßigste theodizee




VATERS ZORN


vaters zorn warf mit dingen durchs haus

eine widerspenstige holzleiste

die aus dem gebohnerten boden ragte

jesusbommeln, die dauernd abrutschten

von den verdorrten ästen der weihnachtstanne

das neugeborene kätzchen

das verstoßen worden war

es heißt im nachhinein, er habe sich bedroht gefühlt

von unsrem kuss im baumhaus

den er mit einer drohne entdeckt haben muss

anders können wir das nicht erklären

hatten ja extra die vorhänge aus laub

fest zugezogen und die taschenlampe ausgeknipst

gruselig wars da drin

verbuchten das unter vorübergehend

versuchten, die mythen europas

nur mit queers zu erzählen

waren froh, dass wir uns bei all den würmern im laub

nicht aus den augen verloren haben

unsere bunny-kostüme gemeinsam zerreißen konnten

wie endlosschleifen durch die geisterbahn




MUTTERS ZORN


mutters zorn wuchs mit uns auf, verteilte sich

mit mutterliebe in den nervenflechten

und im zahnschmelz wie die ladung von gewitter

wir fragten uns zur frischluft durch

aus der umklammerung des muttermunds

und muttersarmen, die wie kiefer malmten: geh

klytemnestra wars, medea, manchmal frau menhardt von nebenan

unterdessen lutschten wir brav l.s.d.

aus einem mutterkorn gezapft und spielten

eros, thanatos bis wir genug gezappelt hatten

glitten wie ein brief in unsre särge

säuberlich gefaltet, säuberlich gekämmt

mutter legte uns in warme decken, mit rosen bedacht

und bat uns, sie nie zu verlassen, sonst würde sie gehn

es fiel uns auf, dass sie bei disney immer fehlte

und trotzdem stand popcorn immer parat

in muttersprache trennten wir, was ein geheimnis blieb

und wünschten, es zu teilen




WO WAR MARIAS HEBAMME


riefen die engel ihr zu: halte durch! halt den atem!

jetzt pressen, maria! das schaffst du!

oder kamen sie eh nur vorbei, um zu leuchten?

was tat maria in der ersten nacht mit kind und dammriss

im stall, wo ochs und esel schauten und aus ihrer krippe fraßen

half josef, der ja alles zu verstehen vorgab

oder kämpfte sie allein, erfinderin der künstlichen befruchtung

erste mutter eines patchworkclans seit dem olymp

hielt gott ihr die hand? oder josef?

wusch gott das laken oder hielt ihr einen lappen an die heiße stirn?

lag sie auf stroh, das rundum piekste und pusteln hervorrief?

was hätte maria getan, wäre das kind ins stocken geraten?

sind die drei könige mit goldener saugglocke angereist

haben sie eine myrrhetinktur zur wundheilung angerührt

ihre nerven mit weihrauch betäubt?

ein wunder wahrlich, wie maria und kind diese nacht überlebten


Anna Julian Mendlik
(c) Dirk Skiba

Anna Julian Mendlik (*1986), Berliner Autor*in, veröffentlichte bis 2024 als Anna Hetzer mehrere Lyrikpublikationen, unter anderem Kippbilder (2019) und Pandoras Playbox (2022). Sie beteiligte sich an vielen künstlerischen Kooperationen zum Austausch von Lyrik und visueller Kunst, Musik oder Gebärdensprachpoesie. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet. 2024 co-kuratierte Mendlik das Festival Coming Out, Inviting In im Literarischen Colloquium Berlin.

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