Maschinenwörter, Wortmaschinen. Gedankenarbeit im Keller der KI
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- 4. Mai
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Isabel Fargo Cole
… diese Menschen, namens Arbeiter, produzierten Maschinen zur Herstellung von Maschinenteilen, aus denen Maschinen zur Herstellung von Maschinen zusammengesetzt würden … als ich 2023 diesen Satz übersetzte, schien er sich wie von selbst im Jetzt fortzuschreiben. Wolfgang Hilbigs „Die Arbeiter. Ein Essai“ von 1982 hatte mich unversehens eingeholt. […] Immer wieder stellt Hilbig die Machtstrukturen der Volkseigenen Betriebe bloß: Das Hirn, die Ingenieurschaft, vertritt das Höhere, besitzt sogar das Monopol zur Prägung von Sprache. Damit entsteht
ein Kampf zwischen der Sprache der Ingenieure und der Sprachlosigkeit der Arbeiter. Der Kampf besteht darin, dass ein Widerstreben da ist, mit dem das Schweigen der Arbeiter sich mit dem Sprachmaterial der Ingenieure auffüllt […]. [E]ine Verwerfung dieser Sprache, die Entfaltung einer eigenen Sprache würde gleichzeitig den Status der Arbeiter verwerfen.
Selbst im realexistierenden Sozialismus sind die Verhältnisse von Geld bestimmt:
[R]iesige Haufen einer Wörterware, für die gezahlt wurde, Maschinenwörter, Ersatzteile von Wörtern, aus denen Maschinenwörter, Wortmaschinen zusammengesetzt werden […] unaufhaltsam schreitet der Verschleiß fort, und mehr Wörter als diese gibt es nicht.
Solche Bilder verstand ich vor 20 Jahren lediglich als Metaphern. Ich war noch weit davon entfernt, mich in meiner textproduzierenden Funktion für ein Auslaufmodell zu halten. Denn ich hatte nicht bedacht, dass eine Maschine längst nicht wie ein Mensch schreiben oder übersetzen muss, um – schlicht nach der Logik des Marktes – den Menschen ersetzen zu können. Dass der Markt zu diesem Zwecke eine eigene Sprache entfalten könnte, die rein auf Grund ihrer Übermacht überzeugt: die Large Language Models mit ihrer Bibliothek aus Abermillionen gescrapten Buchseiten (unter ihnen zwei Werke Hilbigs in meiner Übersetzung) und mit ihrer von unzähligen Server-Farms betriebenen Stochastik, die daraus Sätze herausklaubt.
Maschinenwörter, Wortmaschinen – auch diese Metaphern haben 2023 die Wirklichkeit eingeholt. Unser Schweigen füllt sich mit dem Sprachmaterial der Ingenieure, einer inzwischen menschelnden Wörterware: „künstliche Intelligenz“, „neuronale Netze“.
[…] Man wird nicht müde, zu beteuern, der menschliche Arbeiter, der Übersetzer etwa, bleibe auf jeden Fall in the loop, nämlich als Bediener und Zuarbeiter der Maschinen. Also: aus der stumpfen Arbeit erlöst und in die Sphären der Ingenieure versetzt. Im entfesselten Markt werde das Verschwinden traditioneller Übersetzungsarbeit durch das Zehnfache an Postediting-Aufträgen kompensiert, händeringend werde nach Fachkräften gesucht. Derselben Fortschrittslogik entsprechend zeichnet sich allerdings jetzt schon der Trend ab, auch das Postediting, sogar die Qualitätskontrolle der KI zu überlassen. Und was spräche dagegen? Heute verfassen Bots Bücher, die Amazon überschwemmen, um von Millionen weiterer Bots „gelesen“ zu werden. Heute scheint die Frage beantwortet, die Italo Calvino vor mehr als 50 Jahren in seinem Aufsatz „Kybernetik und Gespenster“ gestellt hat: [W]erden wir […] eine Maschine haben, die den Dichter und den Schriftsteller ersetzen kann?
Dabei darf nicht vergessen werden, was Calvino lapidar hinterherschickte: [E]s [würde] sich doch nicht lohnen […], eine so komplizierte Maschine zu bauen. Oder dass das Bild eines vollautomatischen Kreislaufs ein künstliches Konstrukt ist. Es täuscht darüber hinweg, dass die Sätze sich eben nicht von allein fortschreiben: In deren Schleifen stecken Menschen tiefer denn je.
[…]
Der „Schachtürke“ – so hieß der berüchtigte „Schachautomat“ des 18. Jahrhunderts, der in Wirklichkeit von einem darin eingepferchten kleinwüchsigen Spieler gelenkt wurde. „Künstliche künstliche Intelligenz“ nennt man solche Simulationen des Posthumanen. Hinter den orchestralen Aufführungen des Big Tech verbirgt sich eine ganze Schattenwirtschaft aus ghostwork, Gespensterarbeit. Millionen digitaler Microjobs verteilen sich global mittels Crowdsourcing-Plattforme wie mturk.com, die ihren Namen dem „Mechanical Turk“ verdankt. Schon seit Jahren obliegt es Clickworkers in Billiglohnländern, unsere Netze von menschenverachtenden Inhalten zu säubern. Auch das Labeln, die Kennzeichnung „toxischer“ ChatGPT-Trainingsdaten wurde nach Kenya ausgelagert, zehntausende Schilderungen von Mord, Folter, Vergewaltigung wurden für ein Stundenlohn von ein bis drei Euro ausgewertet. Aber auch der Arbeitsalltag eines wachsenden Amerikanischen Prekariats im Home Office ist von US-Medien ausführlich geschildert worden: $ 14 die Stunde, um sich den ganzen Tag mit ChatGPT zu unterhalten; $ 45, um Bots Jurisprudenz, $ 25, um ihnen Poesie beizubringen. KI-Ingenieure kaufen Beispiele für sokratische Dialoge ($ 300 / Stück) oder „schwarzhumorige Nonsensverse über Goldfische“ ($ 15 / Stück) ein. So wird das alignment, die Anpassung der KI an den menschlichen Verstand, in hirntötender Akkordarbeit geleistet.
[…]
Mein Zögern vor dem ersten Satz ist seit Anfang 2023 mit einer absurden Angst aufgeladen: Angst vor der Kritik durch die Maschine. Die Maschine kritisiert das Zögern, die Hemmung – weil sie es angeblich besser weiß. Und selbst das hemmungsloseste „Getümmel von Worten und Sätzen“ qualifiziert sie ab – weil sie es angeblich besser kann.
Eine ebenso absurde Angst: Die Kritik, die die „künstliche Intelligenz“ mit ihrem ganzen Wesen äußert, werde die Intelligenz als Zunft nur halbherzig kontern. Weil sie sich selbst vorauseilend für passé erklärt hat? Haben wir unsere Denkarbeit schon so überzeugend dekonstruiert, in Schritte zerlegt und zu workflows neu gebündelt, dass es leichtfällt, die Verantwortung für die öde gewordenen Kreisläufe abzutreten? Tun wir dies aus Demut, aus Solidarität mit den Akkordarbeitern? Oder vielmehr aus Überheblichkeit? Denn die „artificial intelligentsia“, das sind nicht nur die Informatiker und Entwickler, die Joseph Weizenbaum 1976 meinte – das sind wir. Haben wir nicht längst die Hinwendung zum Abstrakten, Simulierten, Digitalen bejaht und vorangetrieben, uns in der Rolle der Ingenieure wähnend? (Ingenieure der menschlichen Seele …)
Dabei vergaßen wir die Proleten, deren Schicksal – Fließbandarbeit oder Überflüssigkeit – nun auch uns zu ereilen droht. Die Fabrikhallen, die wir in ferne Erdteile verbannten, haben wir unversehens um uns selbst herum wiedererrichtet. Schriftsteller in die Betriebe! Um doch noch Seite an Seite mit den Arbeitern zu stehen, steigen wir in die Keller der Bewußtseinsindustrie hinab, lassen leere, summende Stockwerke über uns zurück.
[…]
Doch lässt sich vielleicht, ganz unten angekommen, sogar einen Ausweg aus den klinisch sauberen Kreisläufen ausmachen? Lässt sich den Standpunkt des Heizers einnehmen, dessen Arbeit, so Hilbig, „Gedankenarbeit“ sei? Der Unzugehörige, selbst von den anderen Arbeitern verachtet und misstraut, durchschaut wie durch eine gläserne Decke das ganze über ihn ragende Gebäude – nicht als das glatte Abstraktum, das die Ingenieure herbeireden, sondern mit allen blakenden Energieströmen, schwelenden Konflikten, Abfällen, Unfällen. All das lastet auf der Sprache des Heizers, hemmt sein Denken und verhöhnt zugleich seine Hemmung. Doch gerade in ihr entsteht der eigene Standpunkt. Das „Zögern vor dem ersten Satz“ bedeutet auch die Weigerung, einen Prompt automatisch auszuführen, einen Gedanken vom Fließband rollen zu lassen.
Inmitten des Organismus dieser Welt, dieser Zeit kann die einzig menschenwürdige Sprache nur aus unbeendeten Sätzen bestehen. Freiheit, dir ein Ende selbst zu finden, kann keine noch so glückliche Ordnung gewähren, und du mußt dich schon in der Frühe gegen die dich betreffen wollenden Abfertigungen durch die Sprache auflehnen …
Die Sätze des Heizers finden kein Ende – selbst wenn sie zerrinnen, verbinden sie sich unterirdisch über sein ganzes Werk hinweg. […] Eines zeichnet die Sprache […] der Ingenieure aus: Sie flutscht. Sie geht den Weg des geringsten Widerstands. Sich selbst wiederkauend, findet sie immer Worte – und deshalb kein Ende. Der Heizer dagegen findet nicht, er sucht, er dringt mit dem Kopf durch die Wand ins Labyrinth. Im Herumirren entstehen erst die Räume, in denen das „Ich“ sich bewegen, die eigene Sprache sich entfalten kann. Dies geschieht mit körperlichem Einsatz, „mit allen meinen Sinnen“, unter Anstrengungen, die Lebenskraft und Lebenszeit erfahrbar machen. […] [G]erade im sisyphusartigen Aufstieg ist das Ich nicht zu beirren, ist die Frage müßig, welche Mühen sich lohnen – denn ohne die Mühen gäbe es das Ich gar nicht erst. So zu tun, als könnte man sie loswerden, aus der Welt schaffen, hieße die Welt loswerden, die nur das Ich ertasten kann. Es muss erst ihre Schwere spüren, den Widerstand der physischen Wirklichkeit, ihre Stummheit, um sie zur Sprache zu bringen. Gegenüber den abstrakten Wortmaschinen glaubt das Ich zu stammeln, zu verstummen – so sehr haftet seine Sprache an den Dingen. So sehr, dass der Stoff eine eigene Sprache entfaltet:
[D]ie Asche ist es, die meine Papiere beschrieben hat mit ihren gleichförmigen und unleserlichen Schriftzügen. […] Die Dinge beschreiben sich im Niedersinken der Asche, die sie bedeckt, im Glattwerden ihrer Wut, und im Übergang von Haß in Melancholie …
Der Heizer überträgt diese Sprache, eine Arbeit, die niemals abzuschließen sein wird, Stoff zu Worten, Worte zum Stoff, zum Brennstoff, zum Feuer, zur Asche, zum Schnee, zum Schweigen, zu Worten …
[E]in Schneegestöber von Buchstaben, das sich herabsenkte wie Brandqualm … als habe man oben im Himmel eine ungeheure Bibliothek in die Luft gesprengt. […]
Mußte auch er dem endlosen Strom der Zeilen noch neue hinzufügen … mußte er all diese aus Kohle gewonnenen Wörter und Silben, die es schon gab, vermehren, sie noch einmal aufschüren und dem Feuer der Zeit aussetzen, auf dass sie noch schneller verwandelt würden in graue Asche.
Im Malaiischen Archipel im Kesselraum des Kraftwerks einer Server-Farm sitzt ein Heizer und zögert vorm ersten Satz. Eine Ghostworkerin steht vom Rechner auf, der letzte Schub Wortmaterial ist schon verheizt, und in der Stille bilden sich eigene Gedanken. Die Frage nach dem Muss bejaht sich von selbst. Und auch im Keller lässt sich ein Raum ertasten, der die Bibliothek der Daten sprengt. Ein Fasan fliegt herein. Der Heizer kennt die verdrängten Ein- und Ausgänge: das Tagebauloch und den Schornstein. Wir wissen, dass alles Leben nur ein dem Himmelsraum entliehener Geruch ist, und wenn wir heizen, rufen wir ihn wieder hervor.

Isabel Fargo Cole, geb. 1973 in den USA, lebt seit 1995 in Berlin alsAutorin und Übersetzerin aus dem Deutschen, u.a. von AnnemarieSchwarzenbach, Wolfgang Hilbig, Franz Fühmann und Adalbert Stifter. IhrRomandebut "Die grüne Grenze" (Edition Nautilus, 2017) wurde für denPreis der Leipziger Buchmesse 2018 nominiert. Es folgten der Roman "DasGift der Biene" (Edition Nautilus, 2019) und der Langessay "DieGoldküste. Eine Irrfahrt" (Matthes und Seitz, 2022). Für ihr Prosawerkwurde sie 2023 mit dem Literaturpreis der A und A Kulturstiftungausgezeichnet. Cole ist außerdem Initiatorin des Projekteswww.waldschaffen.de und des Stammtisches TechMündigkeit für Wortmenschen. Foto: Dirk Skiba
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