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Rodolfo Häsler: Strand von Somorrostro und andere Gedichte

Rodolfo Häsler hat diesen Text beim Salón Berlinés am 14.07.2025 gemeinsam mit Anna Julian Mendlik vorgetragen.


Die Übersetzung wurde freundlicherweise ermöglicht von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ist im Rahmen einer Kooperation von Salón Berlinés und alba.lateinamerika lesen e.V. entstanden.


Moderation: Ingeborg Robles und José Luis Pizzi

Montags 19 Uhr, Crellestr. 26, 10827 Berlin


Übersetzung: Amaya Gallegos



STRAND VON SOMORROSTRO


Es beglückt ihn, ins Meer zu gehen,

seit seiner Kindheit tut er es,

eine alte Furche,

die das Licht

der Tiefen sucht,

er entdeckt eine Qualle und es schmerzt,

Meeresbrennessel, heimlicher Stern

in der Ohrfeige der Welle,

wie kann man übers Meer gelangen

und diesen fernen Punkt erreichen,

es gibt keinen Gesang,

vom Ufer her die Stimme

ist weder die einer Frau noch die eines Mannes,

eine singende Sprache

formt den Salpeter,

sie taucht, kommt voran,

liefert sich ein Kräftemessen mit dem, der schwimmt

und entgeht dem Ertrinken,

die Stimme vergrößert den Durst,

es ist eine Ausrede, eine Verzerrung,

die die Jahre überdauern wird,

wenn das Licht untergeht

auf den Tiefseegrund,

doch an einem anderen Strand

geht die Uhr

im verbrannten Sand nach.


Ein Stechen von Traurigkeit

schießt in die Flanke

des Mangels,

jetzt zerstreut sie sich

zwischen dunklen Spuren,

die Magerkeit

umringt die Behausungen,

die Farbe Weiß auf Durchreise

und die Ansammlung des Elends,

sein Gewicht im Sand

begräbt den Knochen des Leids,

aus der Ferne,

rastend,

ertrinkt der Ort im Chrysanthemenopfer,

der Durst,

der Regen,

der Zorn,

aber es lässt nicht nach,

der Name wird ausgesprochen

in einer bitteren Nacht,

es ist der erhobene Zeigefinger,

der Regen macht ihn nass

und ein Gedicht bleibt als Erinnerung,

bis hierher dringt der Geruch

der Lüge.



EINE BUCHHANDLUNG IN VILLA CRESPO


für Leandro Asoli


Wenn ich Licht sage,

springen Kröten aus den Seiten

eines Buches,

ich sage Licht und eine Nachtigall

fällt zwischen zwei Punkte,

eine Seite, blindlings aufgeschlagen

und ein Vers, in dem sich der Abend neigt,

ich sage Lesestunden,

eine Flut,

eine Zerstreuung

bindet sich an die Zeit,

das Leben anhalten

im genau richtigen Absatz,

doch es gibt keinen Weg,

die Neugier zu bremsen,

du näherst dich den Regalen

und merkst, dass du suchst,

doch du kannst keine Wahl treffen,

es ist unmöglich,

den Weg freizumachen,

da ist ein goldener Buchrücken

und das Schicksal brennt sich in die Netzhaut,

dort bin ich,

dort lebe ich

fünf Seiten weiter

zwischen glühenden Anführungszeichen.



SAMSARA


für Luiz Felipe



Alles beginnt mit einer Wunde,

die noch auf Heilung wartet,

den Schaden wiedergutmachen,

heißt, in die Erinnerung tauchen,

den Schmerz verwandeln,

weder Aloe Vera noch Mangogelée

versiegeln die zerstörte Oberfläche,

nur das Lecken des Körpers

lindert das Brennen,

ohne Narbe, ohne das Zeichen

kannst du das Haus nicht betreten,

barfuß gehst du,

die wunden Füße

stoßen gegen Steine,

die eine unverkennbare Grimasse erzwingen,

das Leben öffnet sich,

wenn das Messer das Licht reflektiert,

es schürt die Glut

und kauterisiert die Haut bei Berührung,

um weiterzugehen, muss man lernen

zu vernähen, die Feuchtigkeit

hinterlässt einen Fleck auf der Brust,

mach einen Schritt,

atme tief ein,

stoße die rostige Hacke

ins Zentrum des Herzens.



(c) Lisbeth Salas
(c) Lisbeth Salas

Rodolfo Häsler wurde 1958 in Santiago de Cuba geboren und lebt seit seinem zehnten Lebensjahr in Barcelona. Er studierte an der Universität Lausanne, Schweiz, Literaturwissenschaft. Folgende Bücher hat er veröffentlicht:


  • Poemas de arena (Editorial E.R., Barcelona, 1982)

  • Tratado de licantropía (Editorial Endymión, Madrid, 1988)

  • Elleife (Editorial El Bardo, Barcelona, 1993 und Editorial Polibea, Madrid, 2018, ausgezeichnet mit dem Preis Aula de Poesía de Barcelona)

  • De la belleza del puro pensamiento (Editorial El Bardo, Barcelona, 1997, mit einem Stipendium der Oscar Cintas Foundation, New York)

  • Poemas de la rue de Zurich (Miguel Gómez Ediciones, Málaga, 2000)

  • Paisaje, tiempo azul (Editorial Aldus, Mexiko-Stadt, 2001)

  • Cabeza de ébano (Ediciones Igitur, Barcelona, 2007 und Ediciones El Quirófano, Guayaquil, 2014)

  • Diario de la urraca (Huerga y Fierro Editores, Madrid; Editorial Mangos de Hacha, Mexiko-Stadt; und Kálathos Ediciones, Caracas, 2013)

  • Lengua de lobo (Hiperión, Madrid, 2019; Editorial Salta el pez, Buenos Aires, 2021, Gewinner des XII. Internationalen Poesiepreises Claudio Rodríguez)

  • Hospital de cigüeñas (Editorial Libros de la Hospitalidad, Valencia, 2021)

  • El tranvía verde de Alejandría (Ediciones del 4 de agosto, Logroño, 2023)

  • Jabón de Nablus (RIL Editors, Barcelona, 2023)


Er veröffentlichte außerdem die literarischen Broschüren (Plaquettes) Mariposa y caballo (El Toro de Barro, Cuenca, 2002) und Cierta luz (Ediciones Mata Mata, Guatemala-Stadt, 2010) sowie die Anthologien Antología poética (Editorial Pequeña Venecia, Caracas, 2005) und Antología de Tenerife (Ediciones Idea, Las Palmas, 2007).


Als Übersetzer hat er u. a. das vollständige lyrische Werk von Novalis, die Miniaturen von Franz Kafka, eine Gedichtauswahl von Heine, Poemas von Erika Burkart, Poemas de insomnio und eine Auswahl aus Anthologie secrète von Frankétienne sowie aus dem Katalanischen eine Anthologie von Manuel Forcano, Tots els cavalls von Antònia Vicens und ebenfalls von Vicens Pare, què fem amb la mare morta übertragen.


Zudem ist er Herausgeber der poetischen Anthologie El festín de la flama der bolivianischen Dichterin Blanca Wiethüchter.

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