Rodolfo Häsler: Strand von Somorrostro und andere Gedichte
- alba.lateinamerika lesen

- vor 2 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Rodolfo Häsler hat diesen Text beim Salón Berlinés am 14.07.2025 gemeinsam mit Anna Julian Mendlik vorgetragen.
Die Übersetzung wurde freundlicherweise ermöglicht von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ist im Rahmen einer Kooperation von Salón Berlinés und alba.lateinamerika lesen e.V. entstanden.
Moderation: Ingeborg Robles und José Luis Pizzi
Montags 19 Uhr, Crellestr. 26, 10827 Berlin
Übersetzung: Amaya Gallegos
STRAND VON SOMORROSTRO
Es beglückt ihn, ins Meer zu gehen,
seit seiner Kindheit tut er es,
eine alte Furche,
die das Licht
der Tiefen sucht,
er entdeckt eine Qualle und es schmerzt,
Meeresbrennessel, heimlicher Stern
in der Ohrfeige der Welle,
wie kann man übers Meer gelangen
und diesen fernen Punkt erreichen,
es gibt keinen Gesang,
vom Ufer her die Stimme
ist weder die einer Frau noch die eines Mannes,
eine singende Sprache
formt den Salpeter,
sie taucht, kommt voran,
liefert sich ein Kräftemessen mit dem, der schwimmt
und entgeht dem Ertrinken,
die Stimme vergrößert den Durst,
es ist eine Ausrede, eine Verzerrung,
die die Jahre überdauern wird,
wenn das Licht untergeht
auf den Tiefseegrund,
doch an einem anderen Strand
geht die Uhr
im verbrannten Sand nach.
Ein Stechen von Traurigkeit
schießt in die Flanke
des Mangels,
jetzt zerstreut sie sich
zwischen dunklen Spuren,
die Magerkeit
umringt die Behausungen,
die Farbe Weiß auf Durchreise
und die Ansammlung des Elends,
sein Gewicht im Sand
begräbt den Knochen des Leids,
aus der Ferne,
rastend,
ertrinkt der Ort im Chrysanthemenopfer,
der Durst,
der Regen,
der Zorn,
aber es lässt nicht nach,
der Name wird ausgesprochen
in einer bitteren Nacht,
es ist der erhobene Zeigefinger,
der Regen macht ihn nass
und ein Gedicht bleibt als Erinnerung,
bis hierher dringt der Geruch
der Lüge.
EINE BUCHHANDLUNG IN VILLA CRESPO
für Leandro Asoli
Wenn ich Licht sage,
springen Kröten aus den Seiten
eines Buches,
ich sage Licht und eine Nachtigall
fällt zwischen zwei Punkte,
eine Seite, blindlings aufgeschlagen
und ein Vers, in dem sich der Abend neigt,
ich sage Lesestunden,
eine Flut,
eine Zerstreuung
bindet sich an die Zeit,
das Leben anhalten
im genau richtigen Absatz,
doch es gibt keinen Weg,
die Neugier zu bremsen,
du näherst dich den Regalen
und merkst, dass du suchst,
doch du kannst keine Wahl treffen,
es ist unmöglich,
den Weg freizumachen,
da ist ein goldener Buchrücken
und das Schicksal brennt sich in die Netzhaut,
dort bin ich,
dort lebe ich
fünf Seiten weiter
zwischen glühenden Anführungszeichen.
SAMSARA
für Luiz Felipe
Alles beginnt mit einer Wunde,
die noch auf Heilung wartet,
den Schaden wiedergutmachen,
heißt, in die Erinnerung tauchen,
den Schmerz verwandeln,
weder Aloe Vera noch Mangogelée
versiegeln die zerstörte Oberfläche,
nur das Lecken des Körpers
lindert das Brennen,
ohne Narbe, ohne das Zeichen
kannst du das Haus nicht betreten,
barfuß gehst du,
die wunden Füße
stoßen gegen Steine,
die eine unverkennbare Grimasse erzwingen,
das Leben öffnet sich,
wenn das Messer das Licht reflektiert,
es schürt die Glut
und kauterisiert die Haut bei Berührung,
um weiterzugehen, muss man lernen
zu vernähen, die Feuchtigkeit
hinterlässt einen Fleck auf der Brust,
mach einen Schritt,
atme tief ein,
stoße die rostige Hacke
ins Zentrum des Herzens.

Rodolfo Häsler wurde 1958 in Santiago de Cuba geboren und lebt seit seinem zehnten Lebensjahr in Barcelona. Er studierte an der Universität Lausanne, Schweiz, Literaturwissenschaft. Folgende Bücher hat er veröffentlicht:
Poemas de arena (Editorial E.R., Barcelona, 1982)
Tratado de licantropía (Editorial Endymión, Madrid, 1988)
Elleife (Editorial El Bardo, Barcelona, 1993 und Editorial Polibea, Madrid, 2018, ausgezeichnet mit dem Preis Aula de Poesía de Barcelona)
De la belleza del puro pensamiento (Editorial El Bardo, Barcelona, 1997, mit einem Stipendium der Oscar Cintas Foundation, New York)
Poemas de la rue de Zurich (Miguel Gómez Ediciones, Málaga, 2000)
Paisaje, tiempo azul (Editorial Aldus, Mexiko-Stadt, 2001)
Cabeza de ébano (Ediciones Igitur, Barcelona, 2007 und Ediciones El Quirófano, Guayaquil, 2014)
Diario de la urraca (Huerga y Fierro Editores, Madrid; Editorial Mangos de Hacha, Mexiko-Stadt; und Kálathos Ediciones, Caracas, 2013)
Lengua de lobo (Hiperión, Madrid, 2019; Editorial Salta el pez, Buenos Aires, 2021, Gewinner des XII. Internationalen Poesiepreises Claudio Rodríguez)
Hospital de cigüeñas (Editorial Libros de la Hospitalidad, Valencia, 2021)
El tranvía verde de Alejandría (Ediciones del 4 de agosto, Logroño, 2023)
Jabón de Nablus (RIL Editors, Barcelona, 2023)
Er veröffentlichte außerdem die literarischen Broschüren (Plaquettes) Mariposa y caballo (El Toro de Barro, Cuenca, 2002) und Cierta luz (Ediciones Mata Mata, Guatemala-Stadt, 2010) sowie die Anthologien Antología poética (Editorial Pequeña Venecia, Caracas, 2005) und Antología de Tenerife (Ediciones Idea, Las Palmas, 2007).
Als Übersetzer hat er u. a. das vollständige lyrische Werk von Novalis, die Miniaturen von Franz Kafka, eine Gedichtauswahl von Heine, Poemas von Erika Burkart, Poemas de insomnio und eine Auswahl aus Anthologie secrète von Frankétienne sowie aus dem Katalanischen eine Anthologie von Manuel Forcano, Tots els cavalls von Antònia Vicens und ebenfalls von Vicens Pare, què fem amb la mare morta übertragen.
Zudem ist er Herausgeber der poetischen Anthologie El festín de la flama der bolivianischen Dichterin Blanca Wiethüchter.




Kommentare